BGH (Vi. Zivilsenat), Urteil vom 16. November 2021 – VI ZR 100/20
(Vorgehend: LG Frankfurt (Oder), Urt. V. 18.12.2019 – 16 S 70/19; AG Fürstenwalde v. 02.08.2018 – 12 C 262/15)

Der Sachverhalt:
Der Kläger verlangt restlichen Schadensersatz aus einem Unfallgeschehen, bei dem sein Fahrzeug durch den PKW des Beklagten beschädigt wurde. Der vom Kläger beauftrage Sachverständige ermittelte voraussichtliche Reparaturkosten i.H.v. € 7.148,84 brutto, einen Wiederbeschaffungswert des PKWs i.H.v. € 4.500 brutto und einen Restwert i.H.v. € 1.210 brutto. Die Beklagte regulierte den entstandenen Schaden auf Grundlage des Wiederbeschaffungsaufwands. Mit Hilfe eines Restwert-Online-Börse ermittelte sie einen Wiederbeschaffungswert i.H.v. € 1.420. Sie zahlte in Folge dessen einen Betrag i.H.v. € 3.080 an den Kläger.

Der Kläger ließ seinen PKW zu einem Preis i.H.v. € 5.695,49 brutto reparieren. Er nutzte anschließend das Fahrzeug weiter. Mit der Klage begehrt er die Differenz i.H.v. € 2.615,49.

Die Beklagte begehrt Klageabweisung.

Das Urteil:
Der Sachverständige schätzte die voraussichtlichen Reparaturkosten auf einen den Wiederbeschaffungswert um 59% übersteigenden Betrag. Dieser Umstand führt für sich genommen nicht dazu, dass die Instandsetzung des beschädigten Fahrzeugs als wirtschaftlich unvernünftig zu beurteilen wäre.

Dem Geschädigten steht ein Anspruch auf Ersatz des den Wiederbeschaffungswert des beschädigten Fahrzeugs um bis zu 30% übersteigenden Reparaturaufwands zu, sofern er ein besonderes Integritätsinteresse zum Ausdruck bringt. Es muss der Zustand von vor dem Unfall wiederhergestellt werden, sodass der PKW nach der Reparatur wieder genutzt werden kann. Die Reparatur muss fachgerecht und in dem Umfang, wie ihn der Sachverständige in seinem Gutachten niedergeschrieben hat durchgeführt worden sein.

Wirtschaftlich unvernünftig ist eine Instandsetzung, wenn der Aufwand einer Reparatur (Reparaturkosten zzgl. Etwaiger Entschädigungen für den merkantilen Minderwert) den Wiederbeschaffungswert um mehr als 30% übersteigt. Das Werkstatt- und Prognoserisiko trägt der Schädiger.

Senat: Führt der Kläger unter Verwendung von Gebrauchtteilen eine fachgerechte, den Vorgaben des Gutachtens entsprechende Reparatur durch, wobei Kosten eines etwaigen merkantilen Minderwerts berücksichtigt werden und der Wiederbeschaffungswert um nicht mehr als 30% überstiegen wird, so könne die Abrechnung der konkret angefallenen Kosten für die Reparatur nicht verwehrt werden.

Dem VI. Zivilsenat zufolge besteht ein Ersatzanspruch nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB auch dann, wenn abweichend von der Schätzung des vorgerichtlichen Sachverständigen für die vollständige und fachgerechte Reparatur des Fahrzeugs Kosten entstehen, die sich unter Berücksichtigung eines merkantilen Minderwerts auf 101% bis 130% des Wiederbeschaffungswerts belaufen.

Allerdings seien die nicht hinreichend aussagekräftigen Angaben des Sachverständigen keine ausreichende Grundlage für die Überzeugungsbildung des Gerichts. Sie begründeten Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der tatsächlichen Feststellungen des AG und ließen die in § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO angeordnete Bindung des LG an diese Feststellungen entfallen. Der BGH verwies die Sache zurück.

Fazit:
Ein Geschädigter kann Ersatz des entstandenen Reparaturaufwands verlangen, wenn es ihm gelingt, zu beweisen, dass das Fahrzeug nach dem Unfall fachgerecht und innerhalb der 130%- Grenze repariert wurde und sofern ein Zustand wie vor dem Unfall hergestellt wurde, um den PKW nach der Reparatur weiter nutzen zu können.

Der Beitrag Ersatz der Reparaturkosten trotz Gutachten auf Totalschadenbasis erschien zuerst auf Dr. Carl & Partner.